Strategien


Tektonische Verschiebungen in der Arbeitswelt

Industrie 4.0 - Fertigung fusioniert mit IT

23.08.2013
Von Walter Simon

Dezentrale Fertigung und individualisierbare Produkte

Plötzlich meldet sich ein guter Kunde mit einem höchst eiligen Sonderwunsch. Er benötigt 500 Produkte, beispielsweise Kurbelwellen. Die Produktion arbeitet gerade an einem Auftrag für einen anderen Abnehmer mit einer Losgröße von 10.000 Stück. Im Normalfall ist es fast unmöglich, den Sonderauftrag in die laufende Produktion einzuschleusen, ohne dass immense Kosten entstehen. Es gilt die Regel: Je mehr identische Produkte im Fertigungsfluss, um so geringer fallen die Kosten aus (Economies of Scale). In der 4.0-Produktion wären dagegen sogar Losgrößen von eins, also Unikate, machbar. Eine individuelle Fertigung erscheint nun möglich.

Dafür wird ein Rohling mit einem Chip ausgestattet und sucht sich selbständig seinen Weg durch die Produktion. Auch wenn keine Maschine für die volle Bearbeitungszeit zur Verfügung steht, hilft sich der Rohling, indem er die Leerlaufzeiten an anderen Maschinen nutzt. Das Unikat wird rechtzeitig fertig. Die IndustrieIndustrie beschreitet eine Schleife von der Einzel- zur Serienfertigung zurück zur Einzelfertigung - Letztere ohne Produktivitätsverlust. Top-Firmen der Branche Industrie

Heute werden die Abläufe noch zentral von der Produktionsleitung gesteuert und von der Arbeitsvorbereitung koordiniert. Im nächsten Jahrzehnt - im Zeitalter von Industrie 4.0 - geht die Initiative vom Werkstück beziehungsweise dem eingebetteten Chip aus. In diesem ist das Fertigungsprogramm für die Maschine nebst virtuellen Zeichnungen gespeichert. Das Produkt dient als Informationsträger, auf dem alle Prozessparameter niedergelegt sind. So wird auch die von der Norm ISO 9001 geforderte Rückverfolgbarkeit von Produkten bestens gewährleistet. Das Werkstück steuert sich selbst durch die Produktion - wir steuern in das Zeitalter dezentraler Fabrikation.

In der "integrierten 4.0-Fabrik" wird nicht mehr sequentiell, also der Reihe nach, gearbeitet, wie man es vom Fließband kennt, sondern entkoppelt, flexibel und integriert. Die Fabrik der Zukunft besteht aus Fertigungsinseln, Anlagen oder Robotern, die eine Vielzahl von Operationen ausführen können. Die Kommunikation erfolgt funk-gesteuert über das Internet, da eine Verkabelung der Fabriksysteme angesichts der Menge kaum praktikabel wäre. Der Materialtransport funktioniert über funk- und sensorgesteuerte Transportsysteme.

Diese Beschreibung zeigt deutlich einen Paradigmenwechsel. Hierfür hat sich mittlerweile der Begriff Industrie 4.0 in der Branche durchgesetzt. Die IT-affine Nummerierung weist auch auf den Charakter der 4.0-Version industrieller Fertigung hin. Sie wird nicht durch Wasser- und Dampfkraft oder Elektrizität getrieben, sondern durch Informations- und Kommunikationstechnik sowie das Internet.

Die ITK als Auslöser und Treiber der Industrie 4.0

Die Fertigungssysteme und Produkte der "Smart Factory", so eine der Bezeichnungen für die zukünftige Produktionsweise, sind mit eingebetteten Systemen ausgestattet, die vernetzt funktionieren. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Cyber-Physical Systems (CPS). Da diese aus mehreren, oft autonomen Einzelteilen bestehen, werden sie auch als "System of Systems" charakterisiert. Hier gilt die aristotelische Erkenntnis, nach der das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist.

Heute dringen immer mehr drahtlose ITK-Komponenten in den Alltag der Menschen und die Berufswelt ein. Diese sind als Bestandteil von "Dingen" (Produkte, Gegenstände, Objekte) drahtlos vernetzt und in der Lage, ihre Umwelt zu erfassen und interaktiv zu reagieren.

Das Internet besteht also nicht mehr nur aus Menschen, die im Netz agieren, sondern auch aus Dingen - darum der Begriff "Internet der Dinge".

Im klassischen Computing waren reale und virtuelle Welt strikt getrennt. Das dingliche Internet hat den Prozess der Verschmelzung beider Welten in Gang gesetzt. Die Fusion wird über die beschriebenen CPS forciert, durch das Zusammenspiel von eingebetteten Systemen, Anwendungsgeräten und ITK-Infrastrukturen. Um zweckorientiert zusammenzuwirken, erhalten Gegenstände eine "persönliche" Internet-Adresse, die für die Interaktion auf der Basis von Internet-Protokollen notwendig ist. Die Voraussetzungen hierfür sind durch die neue Internet-Version IPv6 gegeben. Waren bis vor Kurzem im alten Adressraum IPv4 4,3 Milliarden Internet-Adressen möglich, sind es jetzt 340 Sextillionen (340 mit 36 Nullen). Damit ließen sich jedem Sandkorn auf der Erde theoretisch mehrere IP-Adressen zuteilen.

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