Führung braucht Fakten
Mehr Kritisches Denken, bitte!
- Kritisches Denken braucht Fakten, um den Bezug zur Realität nicht zu verlieren.
- Das klassische Change Management predigt seit Jahrzehnten, Maßnahmen gegen Widerstand einzuplanen.
- Wenn es um weitreichende Entscheidungen geht, sollte die gewählte Argumentation auf ihre Logik geprüft werden.
Zu den häufigsten Floskeln, die ich von Führungskräften gehört habe, zählt: "Mit meinen Mitarbeitenden geht das nicht. Die wollen keine Veränderungen und gehen auf Widerstand." Und es ist nicht etwa so, als wäre diese Aussage hypothetisch formuliert, sie wird vielmehr als absolute Wahrheit ausgesprochen. Schließlich hat man ja Erfahrungen gemacht und kann konkrete Situationen schildern, in denen ein Mitarbeiter sich veränderungsunwillig verhalten hat.
Nebenbei bemerkt ist das bereits eine Interpretation. Verkauft wird dieser Glaube im Gespräch jedoch als Wissen, was wiederum folgende Überlegung zulässt: FührungskräfteFührungskräfte sollten doch zu den Menschen gehören, die Selbstreflexion und kritisches Denken stets trainieren. Wie kann es dann sein, dass branchen- und unternehmensunabhängig genau diese Menschen scheinbar gleichgeschaltet sind, Mantra-artig diese Floskel aufsagen und davon zutiefst überzeugt zu sein scheinen? Alles zu Führung auf CIO.de
Eine Erklärung liegt auf der Hand: Mit dieser Überzeugung lässt sich vieles schnell und leicht erklären, entschuldigen und rechtfertigen. Zudem ist es genau das, was unter dem Label des Change Managements seit Jahren gepredigt wird. Steter Tropfen höhlt eben doch den Stein. Es muss deshalb einmal eine andere Sichtweise auf diese Aussage erfolgen und ein Plädoyer für kritisches Denken in Führung und Management gehalten werden.
Die Sache mit den Fakten
Kritisches Denken braucht Fakten, um sich nicht in Hirngespinsten zu ergehen, sondern in der Realität andocken zu können. Fakten sind empirisch belegte Sachverhalte, die wir als "gegeben" akzeptieren. Sie sind belegbar, es sind Daten. Gleichzeitig braucht es aber auch immer eine Interpretation, Diskussion und Einigung, denn jeder (vermeintliche) Widerspruch in der Faktenlage bietet die Möglichkeit für unterschiedliche Sichtweisen.
In unserer Arbeitswelt haben wir es immer mit komplexen Systemen zu tun, also mit Vielschichtigkeit, die stets zu Interpretation führt. Das sollte uns klar sein. Wir glauben häufig, es mit Wissen zu tun zu haben, bewegen uns in Themen aber mit einem hohen Anteil an Unsicherheit. Zur Verdeutlichung sei hier die Unterscheidung der drei Qualitäten von Wissen gemäß dem Psychologen und Schreibforscher Professor Otto Kruse genannt:
1. Gesichertes Wissen
• Empirisch belegte, eindeutige Daten.
• Fakten, die nicht mehr angezweifelt werden.
• Über Diskussionen ausgehandelte Fakten.
2. Strittiges Wissen
• Es existieren diverse Interpretationen.
• Die empirische Belegbarkeit ist widersprüchlich.
• Einzelfälle, die nicht zur Generalisierung reichen.
3. Unwissen
• Empirische Belege fehlen ganz.
• Rein hypothetisches Wissen.
• Offene Fragen.
• Fakten, die noch nicht praktisch erprobt sind.
Wir reden also im Kontext von Veränderungen und Mitarbeitenden, zu denen auch Führungskräfte gehören, niemals von gesichertem Wissen. Es ist mindestens strittig, wenn nicht sogar rein hypothetisch. Denn als "Beweis" für die Aussage über den generellen Veränderungswiderstand wird meist nur die ewige Behauptung "Weil unser Gehirn am liebsten im Sparmodus arbeitet" aus dem Rhetorik-Repertoire gezaubert. Auch da ist die Schlussfolgerung mehr als fraglich. So ergibt es Sinn, in diesem wie auch in den meisten anderen Zusammenhängen zu betrachten, mit welcher Qualität von Wissen wir es denn zu tun haben.
"Ist doch logisch, oder?"
Wenn Mitarbeiter grundsätzlich nicht veränderungsbereit sind, dann ist es doch logisch, dass sie sich bei Change-Vorhaben oder gar bei der Transformationen sperren, oder? So kann man argumentieren, wenn man dabei unkritisch oder auch gar nicht denkt. Im Folgenden tun wir aber mal so, als wäre der oft generell unterstellte Veränderungsunwillen die reine Wahrheit und betrachten diese Grundannahme und ihre logischen Schlussfolgerungen genauer.
Denn viele Führungskräfte kommunizieren diese Überzeugung immer wieder. Dabei unterliegen sie allerding einem logischen Fehlschluss. Und damit sind wir mitten im kritischen Denken, denn es geht immer auch darum, sein eigenes Denken zu betrachten, um genau solche Fehlschlüsse zu vermeiden oder auszubessern. Werfen wir einen Blick darauf, wie die Schlussfolgerung zustande gekommen sein kann:
Induktiv: Es läuft gerade eine Veränderungsmaßnahme und Sie interpretieren Verhalten von Mitarbeitenden als Verweigerung hinsichtlich der Veränderung. Daraus schließen Sie auf die allgemeine Annahme, dass Menschen keine Veränderung mögen und Widerstand leisten. Aus Einzelbeobachtungen ist aber kein allgemeines Gesetz ableitbar, denn die verschiedenen Maßnahmen finden in verschiedenen Kontexten statt.
Deduktiv: Sie sind von der Grundannahme überzeugt und setzen gerade ein Veränderungsprojekt auf. Jetzt können Sie nichts anderes beobachten als Mitarbeiter, die sich der Veränderung verweigern. Spätestens jetzt relativieren viele Führungskräfte, denn natürlich verweigern sich nicht 100 Prozent der Beteiligten. Die Grundannahme ist also so nicht haltbar. Trotzdem bleiben viele Führungskräfte bei ihrer Überzeugung, was unlogisch, aber leicht ist.
Abduktiv: Sie glauben an den generellen Unwillen gegenüber Veränderungen und beobachten Widerstand bei Mitarbeitern. Daraus schließen Sie, dass es am Veränderungsprojekt liegen muss. Sie diagnostizieren aus Einzelbeobachtungen und der Grundannahme, aber auch so gibt es keine Wahrheitsgarantie, denn schließlich kann Widerstand diverse Ursachen haben.
Widerspruch im Change Management
Mit allen drei Schlussfolgen schaffen wir es nicht, die Grundannahmen des Beispiels zu belegen oder zu erhärten. Warum aber hält sich dieser Glaubenssatz in Führungskreisen so vehement? Warum predigt das klassische Change Management seit Jahrzehnten, dass wir unbedingt Maßnahmen gegen Widerstand einplanen müssen?
Wir schlussfolgern häufig basierend auf der Erklärung, die am besten durch eine Reihe von Beobachtungen ableitbar erscheint, und liegen damit häufig weit daneben. Vor allem dann, wenn wir auf diese Weise versuchen, menschliches Verhalten und Dynamiken in komplexen Situationen zu erklären. Die Konsequenz ist oft die Auswahl der unpassenden Intervention und die nicht nachhaltige Problemlösung.
Die Förderung des kritischen Denkens ist ein Ansatz, dem entgegenzuwirken und zu schauen, ob die Dinge so logisch sind, wie wir glauben. Gerade wenn es um weitreichende Entscheidungen geht, sollte die gewählte Argumentation auf ihre Logik geprüft und eine Schlussfolgerung bewusst getroffen werden. Dann zeigt sich schnell, ob ein Fehlschluss in der Argumentation steckt. Seien Sie dem "herrschenden Wissen" gegenüber stets kritisch und stellen Sie infrage, was Sie denken.