Klagen über Arbeitwelt
Nur noch Einzelkämpfer ohne Moral
Leistungsdruck, Stress und ein immer stärkerer Wettbewerb: Die heutige Arbeitswelt liegt weit weg von der Idealvorstellung der Deutschen. 78 Prozent äußerten sich in einer Umfrage der Körber-Stiftung unzufrieden über den Zustand der Berufswelt. Durchgeführt wurde die Befragung vom Bremer Beratungsunternehmen Nextpractice. Ihr Ausgangspunkt war die Frage nach der Wertewelt der Teilnehmer im Kontext von Alter und Arbeit.
Die Studieninitiatoren wählten folgende Methodik: In 205 Interviews mit einer Dauer von mehr als zwei Stunden sollten die Befragten frei zum Thema Alter assoziieren. Die Ergebnisse wurden dann auf Basis eines sogenannten Gut-Schlecht-Rasters in einen Werteraum der Deutschen übertragen. Die Daten zeigen die unbewussten Wertemuster der Teilnehmer.
Extremer Leistungsdruck und fehlende Anerkennung
Die Befragten wurden - unabhängig von ihrem tatsächlichen Alter - vier Alterstypen zugeteilt: dem hedonistischen Alterstyp (30 Prozent), dem wertkonservativen (14 Prozent), dem leistungsorientierten (22 Prozent) sowie dem solidarischen Alterstyp (34 Prozent). Diese vier Gruppen vertreten sehr unterschiedliche Standpunkte und haben klar voneinander abgegrenzte Wertevorstellungen - auch in Bezug auf die Arbeitswelt.
Mit Ausnahme des aktiv-leistungsorientierten Typs äußern drei dieser vier Gruppen ihre Unzufriedenheit gegenüber der heutigen Arbeitswelt. Sie kritisieren das überhöhte Effizienzdenken, extremen Leistungsdruck, mangelnde Solidarität und fehlende Anerkennung. Als negativ bewerten sie auch eine Überbetonung der individuellen Leistungsfähigkeit, Egoismus und Selbstverantwortung. Darüber hinaus beklagen diese drei Alterstypen Burnout, Sinnlosigkeit, Leistungsdruck, Hektik und Stress.
- Zielsicher in die Katastrophe
Viele Menschen steuern - bewusst oder weniger bewußt - über Jahre hinweg zielsicher auf den Burnout zu. Werden konsequent die häufigsten 13 Fehler gemacht, ist früher oder später der Burnout garantiert! - Allzeit bereit!
Bei Ihrem Job werden "flexible" Arbeitszeiten und Überstunden als selbstverständlich erwartet, auch Reisetätigkeiten, wechselnde Arbeitsplätze, internationale Zusammenarbeit über mehrere Zeitzonen hinweg und Erreichbarkeit 24 Stunden an sieben Tagen per Blackberry, Handy & Co. - Brennen für den Job
Ihre Tätigkeit begeistert Sie, Überstunden stören Sie nicht. Sie stehen für Flexibilität, Schnelligkeit und höchste Qualitätsansprüche. Das Team, der Chef, der Auftraggeber und alle anderen können sich stets auf Sie verlassen. Sie sind ehrgeizig, der nächste Schritt zum Projekt-Manager, Team- oder Abteilungsleiter winkt und fordert vollen Einsatz auf gleichbleibend hohem Niveau. Brennen Sie für Ihre Aufgaben, das Projekt, Ihr Team, Ihr Unternehmen - bis Sie ausgebrannt sind. - Entspannen? Was ist das?
Signale wie anhaltende Müdigkeit, Unkonzentriertheit, Leistungsabfall, Schlafstörungen sowie die Unfähigkeit abzuschalten und aufzutanken, ignorieren Sie. Bedienen Sie sich bei auftretenden Zipperlein großzügig an Produkten der Pharmaindustrie. - Nur nicht wütend werden
Kümmern Sie sich auf keinen Fall um Ihre Gefühle. Wut, Ärger, Ängste, das Gefühl von Überforderung oder ständiger Gehetztheit ignorieren Sie, ebenso wie das Schwinden Ihrer Lebensfreude, zunehmende Teilnahmslosigkeit, Sinn- und Lustlosigkeit und Depressionen. Bei zunehmendem Leeregefühl lösen Sie sich von der Idee, dass Arbeit Sie innerlich erfüllen könnte. - Immer schön fleißig sein!
Ineffektiv verbrachte Arbeitszeit kompensieren Sie mit Mehrarbeit. Das vertreibt auch die Langeweile am Wochenende und im Urlaub. Sind Sie Freiberufler, verzichten Sie ganz auf Urlaub. Sie müssen die Aufträge abarbeiten, oder das Geld reicht nicht. Machen Sie möglichst mehrere Dinge gleichzeitig, um Zeit zu sparen. Sagen Sie "Ja" zu jeder neuen Aufgabe. - Verzweifelt? Sie doch nicht!
Machen Sie sich unentbehrlich. Auch wenn es unmöglich ist und Sie der Verzweiflung nah sind, versuchen Sie, möglichst alle Erwartungen von Teamkollegen, Auftraggebern, internen und externen Projektmitarbeitern, Vorgesetzten und Ihrer Familie und Freunde zu erfüllen. Am besten übertreffen Sie noch deren Erwartungen. - Warnsignale?
Verwerfen Sie sämtliche Warnungen, Vorhaltungen, Vorwürfe, Bitten und Sorgen von Ihrer/m Partner/in, Angehörigen oder Kollegen. Ihre Ausreden sollten wasserdicht sein: "Nach diesem Projekt wird alles besser" oder "nur noch dieser Fall". Oder: "Die Umstände/der Vorgesetzte/der Auftraggeber zwingen mich dazu, ich habe keine Wahl." - Im Hamsterrad
Hämmern Sie sich und anderen ein, es geht nicht anders, in Ihrem Job jedenfalls nicht. Wenden Sie sich dennoch auf Drängen anderer an eine professionelle Beratung, werden Sie es sicher verstehen, die Sinnlosigkeit dieser Maßnahme unter Beweis zu stellen. - Nur nicht drüber reden!
Gehen Sie auf Distanz zu Menschen, zu denen erstaunlicherweise noch Kontakt besteht. Als Eigenbrötler können Sie leichter die Fassade wahren. Sagen Sie niemandem, wie es Ihnen geht. Gemeinsame Mittags- und Kaffeepausen mit Kollegen sind zeitlich unmöglich, die Zeit mit der Familie wird immer knapper. - Jede Minute zählt - zum Arbeiten.
Streichen Sie sämtliche Hobbys einschließlich sportlicher Betätigungen. Falls Sie doch noch ein Privatleben haben, gestalten Sie die Terminplanung zwischen ihm und dem Job noch engmaschiger, nutzen Sie jede freie Minute. - Gesund leben? Maßlos überschätzt!
Gesundes Essen wird als Zeitkiller abgeschafft zugunsten von Fast Food und belegten Semmeln. Damit Sie überhaupt entspannen und von Ängsten und anderen unangenehmen Gefühlen abschalten können, gönnen Sie sich regelmäßig abends etwas Alkoholisches. - Perfektion, Perfektion, Perfektion
Seien Sie nie zufrieden mit Ihren Ergebnissen, auch wenn andere begeistert sind. Sie sind Ihr strengster Kritiker. Weniger als perfekt kommt für Sie nicht in Frage. Stecken Sie sich zusätzliche Ziele. Erlernen Sie eine Fremdsprache, machen Sie eine berufsbegleitende Ausbildung und laufen Sie Marathon. - Probleme? Ach was!
Lösen Sie keine Konflikte und Probleme grundlegend. Schieben Sie alles vor sich her, damit der Berg von Unerledigtem immer höher wird. - Ein Ausstieg ist möglich!
Falls Sie sich in unserem Text zu stark wiedererkennen, steiegen Sie aus! Je früher, desto besser. Gehen Sie zum Arzt, ändern Sie Ihre Lebensweise, solange es noch früh genug ist. Das raten Ihnen Ruth Hellmich, Rechtsanwältin und Geschäftsführerin von CoachingTraining.
"Es geht um Geld, Macht und Ego, die Moral hat sich aufgelöst, alle werden zu Einzelkämpfern", wird ein Studienteilnehmer zitiert. Besonders die Überbetonung von Eigenverantwortung betrachten die Studieninitiatoren kritisch: Denn sie führe im zweiten Schritt dazu, dass Negativerfahrungen auf das persönliche Unvermögen jedes Einzelnen zurückgeführt würden. Doch eine ideale Arbeitswelt könne nicht allein auf Initiative setzen, da dann der Druck auf den Einzelnen zu stark werde, so die Auswertung.