Inteview mit Parker Harris
Wie Salesforce.com high bleiben will
Der Mitbegründer von Salesforce.com Parker Harris hat einen stillen aber gewichtigen Anteil am Erfolg des Unternehmens, das im Geschäftsjahr 2015 einen Jahresumsatz von 5,4 Milliarden Dollar (plus 32 Prozent) eingefahren hat und sich seit 1999 zu einem der wichtigsten Mitspieler im CRM-Markt entwickelt hat. Harris ist für alle Produktentwicklungen verantwortlich, genau wie für die Rechenzentren und all die andere Technologien des Cloud-Pioniers. Er hat auch die Plattform geschaffen, auf der all die Salesforce.com-Produkte sowie ihre Anwender auf der ganzen Welt zusammenfinden.
Im Interview mit dem IDG U.S. Media Chief Content Officer John Gallant erklärt Harris, wo er Wachstumspotentiale für Salesforce.com sieht, wie sich die Erwartungen der Kunden in den vergangenen Jahren verändert haben, und wie der Cloud-Markt in wenigen Jahren aussehen wird. Er zeigt auch, wie man Infrastrukturen im großen Stil betreibt, und wie Salesforce.com das Programmieren verändert hat. Auch lotet er aus, wie man in einem extrem innovativen Umfeld gegen junge, aufstrebende Firmen besteht, die dem Cloud-Giganten ans Zeug flicken wollen.
Erläutern Sie uns bitte zu Beginn des Gesprächs Ihre Rolle bei Salesforce.com.
Parker Harris: Ich bin einer der Mitbegründer der Firma und seit Beginn verantwortlich für die Entwicklung all unserer Produkte und Technologien. Heutzutage mache ich das in Zusammenarbeit mit Alex Dayon, unserem President of Products. Er bringt eine strategische Sichtweise ein, die ich neben meiner sehr technischen Ausrichtung aber auch mitbringe. Gemeinsam verantworten wir alles, jedes Produkt, jedes Verfahren, jedes Rechenzentrum. All die Rechenzentren laufen bei mir zusammen, also bin ich auch der Zuständige für unsere diesbezügliche Strategie.
Was ich allerdings nicht verantworte ist unsere interne IT-Abteilung. Mein Schwerpunkt liegt auf den Bedürfnissen unserer Kunden. Die Anliegen unserer Angestellten, die in der Regel ebenfalls unsere Produkte nutzen, werden aber von der internen IT-Abteilung befriedigt. Wir kooperieren aber viel.
- Analytics Cloud
Die Analytics-Cloud-Funktionen von Salesforce sollen Business-Anwender in die Lage versetzen, Kundendaten zu analysieren, und Analysten, ihren Kunden zu neuen Erkenntnissen zu verhelfen. Expertise in Sachen Business Intelligence und Data Mining, einst für aussagekräftige Erkenntnisse unabdingbar, ist dazu nicht erforderlich. - App Exchange
App Exchange ist ein Online-Marktplatz für Business-Anwendungen, die von Dritten für den Betrieb (im PaaS-Modell) auf Force.com angeboten werden, teils kostenpflichtig, teils gratis, teils im Freemium-Modell. Die Apps sind nicht auf den angestammten Salesforce-Funktionsbereich CRM beschränkt; das Portfolio erstreckt sich von Kundendienst, Marketing und IT/Administration über Personalverwaltung, Finanzen und ERP bis hin zu Collaboration und Business Analytics. - Chatter
Mit Chatter lassen sich soziale Netzwerke einrichten, die aber auf ein Unternehmen beschränkt sind und unter der Kontrolle dieser Unternehmen stehen. Ihr Zweck ist nicht privater Austausch zwischen Menschen beziehungsweise Social-Media-Marketing von Unternehmen gegenüber ihren Zielgruppen, sondern der Austausch zwischen Mitarbeitern, um auf diese Weise die Sales-, Marketing- und Service-Prozesse effizienter zu gestalten und die Ergebnisse zu verbessern. - Community Cloud
Salesforce positioniert die Community Cloud als Plattform zur Geschäftsprozessabwicklung und Online-Kollaboration zwischen Mitarbeitern, Kunden, Partnern, Lieferanten und Distributoren. Sie ermöglicht es Unternehmen, öffentliche oder geschlossene Netzgemeinschaften unter der eigenen Marke zu erstellen. - Data.com
Der Salesforce-Dienst Data.com bietet zwei zentrale Funktionen, die wesentliche Aspekte der Sales Cloud abdecken: Zum einen dient das System der automatischen Übertragung und Verwaltung von Kundendatensätzen innerhalb eines Salesforce-Accounts. Zum anderen ermöglicht es Data.com seinen gut einer Million Abonnenten, sich gegenseitig ihre Kontaktdaten zur Verfügung zu stellen. - Force.com
Bei Force.com handelt es sich um ein PaaS-Angebot (Platform as a Service), mit dessen Hilfe Entwickler mandantenfähige Anwendungen erstellen können, die sich in die zentrale Salesforce-Applikationslandschaft integrieren lassen. Mit Force.com entwickelte Apps laufen auf der Salesforce-eigenen Infrastruktur. Auch die Kernanwendungen von Salesforce laufen auf Force.com. - Heroku
Die Entwicklungsplattform Heroku ermöglicht es Entwicklern, speziell für Soziale Medien wie Facebook und für mobile Endgeräte Apps zu entwickeln oder existierende Anwendungen hierfür bereitzustellen. Die Anwendungsentwicklung wird wesentlich beschleunigt, weil die Architekturen der Sozialen Medien genutzt werden können, anstatt eigene Anwendungsarchitekturen zu erstellen. - Lightning
Bei Lightning, angekündigt auf der Dreamforce-Konferenz im Herbst 2014, handelt es sich um ein proprietäres Javascript-Framework, das Entwickler in die Lage versetzen soll, besonders schnell mobile Anwendungen zu erstellen. Folgt man Salesforce-Blogger Mike Rosenbaum, ist Lightning sogar die "nächste Generation der Salesforce-1-Plattform". - Marketing Cloud
Die Marketing Cloud dient – im Salesforce-Jargon – der Gestaltung von "Customer Journeys", was mithilfe des "Journey Builder" geschieht: Echtzeit-Bereitstellung individueller, möglichst relevanter Informationen je Kunde mittels kanal- und geräteübergreifender Interaktion. Beispielsweise sind E-Mail-Kampagnen möglich. - Sales Cloud
Unter dem Begriff Sales Cloud fasst Salesforce alle Funktionen und Dienste auf der Salesforce-1-Plattform zusammen, die der Vertriebsautomatisierung dienen. Im Vordergrund stehen hier die klassischen CRM-Funktionen Kontakt-, Opportunity- und Lead-Management, in Verbindung mit Berichts-, Monitoring- und Prognosefunktionen. - Salesforce 1
Die Salesforce-1-Plattform ist die Drehscheibe des Cloud-Angebots von Salesforce. Hier finden sowohl die App-Entwicklung für alle mobilen und stationären Geräte statt als auch der Betrieb der Apps zur Vernetzung von Kunden, Mitarbeitern, Partner und Produkten. Über die Plattform werden 1,5 Milliarden Transaktionen abgewickelt, davon mehr als die Hälfte über APIs. - Service Cloud
Die Service Cloud umfasst alle Kundendienstfunktionen sowie unterstützende Funktionen, die Salesforce im SaaS-Modell (Software as a Service) anbietet. Dazu zählen Realtime-Dienste wie ein SOS-Button in mobilen Anwendungen, Service-Communities, Multichannel-Support, die Integration sozialer Medien als Service-Kanäle und Chatter, um bei dringenden Problemen schnell kompetente Kollegenunterstützung rufen zu können. - Work.com
Work.com ist ein Dienst, der es Sales-Verantwortlichen ermöglichen soll, ihre Teams effizienter zu steuern; „Sales Performance Management“ lautet der Oberbegriff. Teams lassen sich on the Fly zusammenstellen, vereinbarte individuelle Verkaufsziele mit tatsächlich erzielten Ergebnissen verbinden (und vergleichen), Übersichts-Reports über die Leistung von Teams oder einzelnen Mitarbeitern per Drag and Drop erstellen.
Wie hat sich in Ihren Augen die Erwartungshaltung der Kunden Salesforce.com gegenüber geändert? Und wie haben sich die Kunden selbst verändert?
Parker Harris: Lassen Sie mich die zweite Frage als erstes beantworten. Unsere Kunden haben sich nicht wirklich verändert. Als wir anfingen galten wir als "dot.com"-Company, und unsere Kunden bestanden hauptsächlich aus Hightech-Firmen, die uns eine Chance geben wollten. Zunächst hatten wir viele kleine technikfokussierte Unternehmen aus vielen verschiedenen Branchen als Kunden, später dann immer größere. Unser Umsatz stammt heute ziemlich gleichmäßig von kleinen, mittleren und großen Unternehmen. Der Übergang von den kleinen zu den großen Firmen ist unter Federführung unserer Sales-Abteilung vergleichsweise sanft vor sich gegangen. Aus einer technischen Sicht der Dinge heraus versuchen wir uns am Modell der Zwiebel, die von allen drei Parteien gleichermaßen genutzt werden kann. Deshalb sprechen wir von einer Platform-first-Strategie.
Wenn ich darüber nachdenke, was sich für uns verändert hat, dann fällt mir folgendes Phänomen auf: Vor Salesforce.com habe ich für eine Firma namens Metropolis Software gearbeitet. Das war zu der Zeit, als Siebel gerade groß wurde. Unser Thema war ebenfalls die Vertriebsautomatisierung, das war 1993. Aber was wir heute CRM nennen, unterscheidet sich radikal von dem, was 1993 auf dem Markt war. Und dafür sind nicht zuletzt unsere Kunden verantwortlich. Unsere Botschaft beziehungsweise unsere Vision war es, das Verhältnis zwischen unseren Kunden und deren Kunden zu verändern.
Uns geht es um Beziehungen, die unsere Kunden erfolgreicher machen sollen. Und wir fragen uns ständig, wie wir das für unsere Kunden noch besser hinbekommen. Die erklären uns, dass sie sich verändern wollen. Es geht also nicht so sehr darum, neue Häkchen setzen zu können oder um Salesforce-Automatisierung generell. Unsere Kunden haben neue Erwartungen an uns, sie sind mobil geworden und in Social Networks unterwegs , darauf müssen wir reagieren. Oft hatten wir viel Erfolg, wenn man uns einfach um Hilfe fragte. Wir sind dann mehr in der Rolle eines Beraters, und zwar bei vielen Kunden - sehen Sie sich beispielhaft unser Projekt Ignite an.
Dabei handelt es sich um ein kleines Projekt, bei dem wir uns zuallererst immer mit dem Kunden zusammensetzen und versuchen, ihn zu verstehen: "Welche Art von Geschäft betreibt ihr?" Dann erst kommen wir auf unsere Visionen und unsere Techniken zurück und spiegeln die auf den Kunden. Und dann sagen wir: "So könnte deine Zukunft aussehen."
Marc (Benioff, CEO) würde an dieser Stelle das Beispiel von DuPont bringen, einem unserer Kunden, der davon überzeugt ist, dass die Landwirtschaft vor einem dramatischen Wandel steht - bald schon werden Traktoren mit allen möglichen Devices und Sensoren ausgerüstet sein. Sie werden den Boden nicht nur bearbeiten sondern gleichzeitig untersuchen, ob er Nährstoffe braucht etc. Und die können dann auch gleich an Ort und Stelle bestellt werden. Der Anbieter der Nährstoffe weiß das vielleicht schon längst, weil er Drohnen im Einsatz hat… das ist alles ziemlich abgefahren. Der Punkt ist aber, dass wir gemeinsam eine Vision entwickeln und herausfinden, wie unsere Technik bei der Umsetzung behilflich sein kann. Es geht uns keinesfalls darum, den Laden aufzumischen und alles neu zu machen.
Als wir begannen, kümmerten wir uns ausschließlich um Vertriebsautomatisierung. Wir kamen also rein und sagten: "Ihr habt Siebel im Call Center? Sehr gut! Siebel macht sich da super. Und wir können Salesforce-Automation ziemlich gut, wir sollten das integrieren." Heute können wir auch Call Center, wir können Marketing, sind aber mit dem Backend-ERP integriert, SAP und Oracle, manchmal auch Microsoft. Wir sagen den Kunden: "Kein Problem für uns, ändern Sie nichts. Aber falls Sie doch etwas ändern wollen: Auf AppExchange finden Sie die Angebote unserer Partner. Die sind auch klasse."
Wir nehmen den Blickwinkel des Kunden ein, nicht die des Verkäufers. Wir wollen Sie nicht dazu bringen, dass Sie uns alles abnehmen. Obwohl das umsatztechnisch natürlich sehr vorteilhaft für uns wäre. Aber lieber wollen wir wissen, was bei Ihnen gut funktioniert und wo Sie mit unserer Hilfe noch erfolgreicher werden können. Unser Geschäftsmodell basiert ja auf Abonnements, also machen wir nur Geld, wenn unsere Kunden zufrieden sind. Unsere Technologie liegt in der Cloud und ist mandantentauglich. Dass alles obliegt meiner Verantwortung. Wir gehen eine Art symbiotisches Verhältnis mit den Kunden ein - mit Erfolg für alle Seiten.