Führungskompetenz und Führungsstil
Als Chef sollte man der Dümmste im Raum sein
Seit 2008 fokussiert sich der ehemalige IT-Unternehmer und Bitkom-Hauptvorstand darauf, Führungskräfte und Mitarbeiter der IT-Branche als Coach und Trainer zu unterstützen. Er ist Autor des Fachbuchs "Führungspraxis für Ingenieure und IT-Experten"
Die fachliche Top-Expertise der Führungskraft kann das Sahnehäubchen sein - sie ist aber im Vergleich zur Führungsfähigkeit deutlich untergeordnet.
Es gibt keine dummen Fragen
Haben Sie schon einmal in einem Gespräch oder Meeting genickt, während Fachbegriffe gefallen sind, obwohl Sie keine Ahnung hatten, was damit gemeint war? Aber Sie haben sich nicht getraut nachzufragen?
Nun, der "dumme" Chef hat damit gar kein Problem. Er fragt, wenn etwas unklar ist. Nach Abkürzungen und Fachbegriffen fragt er aber hoffentlich nur ein einziges Mal.
Aber oft stecken Experten so in ihrem Tunnel, dass sie die ganz offensichtlichen Dinge gar nicht wahrnehmen.
Ich arbeite als Executive Coach sowohl mit Geschäftsführern als auch Experten zusammen. Oft machen wir auch Strategieworkshops, in denen ich inhaltlich nur ein oberflächliches Verständnis habe.
Warum investieren diese Firmen dann viel Geld für Strategieworkshops mit mir, obwohl ich inhaltlich nur sehr wenig beisteuern kann?
Weil ich die dummen Fragen stelle.
Die Fragen, die sich entweder sonst keiner zu stellen traut oder aufzeigen, dass man auf Voraussetzungen aufbaut, die man endlich einmal zur Diskussion stellen sollte.
"Dumme" und enorm effektive Fragen sind:
Warum… tun wir das/ sollen wir das tun/ tun wir das genau so?
Warum nicht… ?
Was würde passieren, wenn… ?
Was wäre das Schlimmste, das passieren könnte, wenn wir… ?
Wenn wir auf der grünen Wiese anfangen würden, dann… ?
Wenn es leicht wäre, dann… ?
Unser Ego und unser Glaube, das Bild der unfehlbaren und allwissenden Führungskraft jederzeit aufrecht erhalten zu müssen, steht so oft dem Erfolg von Teams und Unternehmen im Wege. Und hindert uns daran, die Fragen zu stellen, die wirklich wichtig sind - deren Antworten aber unbequem sein könnten.
Sonderfall: Kleine Expertenteams
Einen Sonderfall gibt es noch, bei dem die Expertise der Führungskraft über die reinen Führungsfähigkeiten hinausgehen muss: Kleine Expertenteams.
In Expertenteams von zwei bis fünf Personen, in denen die Führungskraft selbst aktives Mitglied des Teams ist und die Führungsrolle zusätzlich zum Tagesgeschäft übernimmt, ist eine hohe fachliche Expertise zwingend erforderlich.
Die Führungskraft kann sich allerdings auch hier oft auf einzelne fachliche Aspekte konzentrieren und dort der Beste des Teams sein, während andere Teammitglieder andere Schwerpunkte haben, in denen die Führungskraft zwar sehr gute, aber nicht die besten Kenntnisse hat. Gleichzeitig muss sie aber auch ihrer Führungsrolle gerecht werden, insbesondere hinsichtlich Förderung der Mitarbeiter, Fokussierung auf die wichtigen Aufgaben und Kommunikation mit Vorgesetzten.
Für manche Führungskräfte ist dies genau die richtige Aufgabe - sie bleiben mitten im Geschehen und haben dennoch mehr Einfluß. Und für viele von ihnen sollte es auch dabei bleiben - denn sie wollen gar kein 15-Personen-Team führen und den Bezug zur inhaltlichen Arbeit verlieren. Einige wenige werden jedoch Geschmack an der Führungsarbeit entwickeln und sollten entsprechend durch Ausbildung, Coaching und eine langsam wachsende Führungsspanne vom Experten zum Leader entwickelt werden.
5 Gründe, warum man als Chef der Dümmste im Raum sein sollte
Top-Talente und -Experten im Team können sich voll entfalten und herausragende Lösungen und Produkte entwickeln, weil sie die notwendige Freiheit und Förderung erhalten
Das Unternehmen, der Bereich, das Team dieser Führungskraft wird zum Magneten für Talente und Experten, denn in den wenigsten Firmen können sich Top-Kräfte wirklich voll einbringen
Der Druck auf die Führungskraft, selbst alle Lösungen liefern zu müssen, sinkt dramatisch und macht Energien frei, die in die Führungsarbeit gehen können
Die Führungskraft kann sich auf strategische Themen konzentrieren und diese aktiv voranbringen
Die Führungskraft hat Zeit, sich sowohl auf die Weiterentwicklung der Mitarbeiter als auch die eigene Weiterentwicklung zu konzentrieren, um für Führungsaufgaben der Zukunft vorbereitet zu sein (z.B. was bedeutet Digitalisierung und Automatisierung für den eigenen Bereich?)
Sicherlich ist deutlich geworden, dass es natürlich nicht darum geht, dumm zu sein, sondern darum, ein Team um sich herum aufzubauen, dessen Exzellenz ständig wächst und nicht durch die Führungskraft begrenzt, sondern gefördert wird.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie Mitarbeiter und Teams um sich herum aufbauen und entwickeln können, die fachlich brillieren - während Sie dafür sorgen, dass diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter optimal arbeiten können.