Firmen unsicher
Bei Managern wächst Angst vor dem Uber-Syndrom
- Die Sorge vor Wettbewerbern aus dem Nichts geht in deutschen Unternehmen um
- Unternehmen nehmen die Konkurrenz oft erst wahr, wenn es bereits zu spät ist
- Kleine, aggressive Anbieter, die "Wadenbeißer" sind klein, smart und agil; sie behindert keine traditionelle Infrastruktur
- Doch nur wenige CxOs denken darüber nach, neue Kundengruppen anzusprechen oder in neue Branchen einzusteigen
Die Angst geht um in den Führungsetagen vieler Unternehmen. Die Angst, dass plötzlich, wie aus dem Nichts, ein Wettbewerber auftauchen könnte, der das eigene Geschäftsmodell komplett infrage stellt und damit dem eigenen Unternehmen den Boden unter den Füßen wegzieht. Diese Sorge vor der zerstörerischen Kraft branchenfremder Konkurrenten wird größer, will das IBM Institute for Business Value im Rahmen einer groß angelegten Umfrage festgestellt haben. Für die Studie "Redefining Boundaries: Insights from the Global C-suite Study" wurden in über 70 Ländern 5247 CEOs, CMOs, CFOs und CIOs aus öffentlichen und privaten Unternehmen in 21 Branchen befragt.
"Das ,Uber-Syndrom': Wenn ein Mitbewerber mit einem völlig anderen Geschäftsmodell in Ihrer Branche auftaucht und Sie dem Erdboden gleichmacht" - so beschreibt Judy Lemke, Chief Information Officer (CIO) des US-Logistikunternehmens Schneider, ihre Sorge. Es sei schwierig, vorherzusagen, wie sich die Wettbewerbslandschaft entwickeln werde, ergänzt der Chief Executive Officer (CEO) eines niederländischen IT-Unternehmens. Und Sony-Chef Kazuo Hirai sagt: "Disruptive Technologien könnten die Grundlagen unseres Geschäfts verändern und völlig unvorhersehbare Folgen haben, falls sie weit verbreitet werden."
Neue Wettbewerber erobern die Märkte
Das Phänomen, das die Topmanager hier beschreiben, hat viele Namen und lässt sich oft nur schwer greifen. "Uberisierung", "disruptive InnovationInnovation", "Industriekonvergenz" - das sind nur einige der Begriffe, die den Firmenlenkern derzeit Kopfzerbrechen bereiten. Dahinter steckt die Gefahr, dass neue Wettbewerber den unteren Bereich eines Marktes ins Visier nehmen und sich von dort unablässig nach oben arbeiten, wo sie letztendlich etablierte Anbieter verdrängen, sagt Clayton Christensen, Management-Guru und Professor an der Harvard Business School. Traten diese Effekte früher eher selten auf, sind sie heute an der Tagesordnung. Alles zu Innovation auf CIO.de
Früher sei die Konkurrenzsituation transparenter und damit einfacher gewesen, heißt es in der IBM-Studie. Das größte Risiko sei in der Vergangenheit das Auftauchen eines neuen Mitbewerbers aus der gleichen Branche mit einem besseren oder günstigeren Produkt oder Service gewesen. Diese Gefahr konnten Unternehmen in aller Regel erkennen und oft auch abwehren, indem sie ihr Angebot an Produkten und Services verbesserten oder erweiterten beziehungsweise indem sie effizienter und einfallsreicher auf dem Markt agierten. Heute nehmen Unternehmen die Konkurrenz oft erst dann wahr, wenn es bereits zu spät ist. Grund genug also für die CxOs, sich mit dem Uber-Syndrom auseinanderzusetzen, um besser einschätzen zu können, welche Folgen für das eigene Unternehmen drohen.
Die Grenzen verschwimmen
Die Erkenntnis, dass die Grenzen zwischen den Branchen zunehmend verschwimmen, ist der IBM-Umfrage zufolge im Topmanagement angekommen. Durch die Bank identifizierten alle Führungskräfte, vom CEO über die Finanz- und Personalverantwortlichen bis zu IT- und Marketing-Leitern sowie den COOs, die Branchenkonvergenz als den Trend, der das eigene Unternehmen in den kommenden drei bis fünf Jahren am stärksten verändern werde. In der Studie ist in diesem Zusammenhang von "digitalen Invasoren" die Rede. "Diese haben in der Regel einen zentralen Bestandteil der Wertschöpfungskette im Visier, umgehen die etablierten Anbieter und erobern die Kontrolle über die Kundenbeziehung, wodurch andere Anbieter irrelevant werden", schreiben die Studienautoren.
Kleine aggressive "Wadenbeißer"
Es gibt zwei Typen dieser Invasoren: die digitalen Riesen und die kleinen, aggressiven Anbieter, die "Wadenbeißer". Beispielsweise könnte der Online-Riese Amazon.com mit seinem Einstieg in den Lebensmittelversand den etablierten Handelsketten durchaus gefährlich werden. Genauso gefährlich seien indes die Wadenbeißer. Sie sind klein, smart und agil, heißt es in der Studie. Und sie würden nicht durch eine traditionelle Infrastruktur behindert - allein deshalb, weil sie in aller Regel überhaupt keine Infrastruktur haben und brauchen, da sie die Assets anderer Anbieter nutzen. "Und sie sind schwierig zu erkennen - sie werden erst dann bemerkt, wenn sie zugeschnappt haben."