Wirtschaftskriminalität
Die Jäger der Wirtschaftsbosse
Droht ein Justiz-GAU?
Hans-Jürgen Karge, der bis 2006 als Generalstaatsanwalt von Berlin 350 Staatsanwälten vorstand, prophezeit angesichts der Masse an Fällen, die die Fahnder nicht adäquat oder gar nicht anpacken, gar den Justiz-GAU: "Wir müssen eingestehen, dass wir Wirtschaftskriminalität nicht wirksam bekämpfen können. Die Justiz hat in den vergangenen Jahrzehnten vieles versucht, ist aber letztlich gescheitert."
Die Folgen treffen viele Beteiligte. Geschädigte Bürger und Unternehmen müssen fürchten, nicht zu ihrem Recht zu kommen. Unschuldige Manager, gegen die ermittelt wird, warten oft jahrelang auf eine Klärung der Vorwürfe - da sind Ruf und KarriereKarriere meist schon ruiniert. Und mancher Übeltäter in Nadelstreifen kommt durch einen Deal mit Staatsanwälten und Richtern glimpflich davon, während die Justiz die Vergehen einfacher Gesetzesbrecher bis zum Ende verfolgt. Das birgt gesellschaftlichen Sprengstoff. Auch die Wirtschaft ist auf eine funktionierende Strafverfolgung angewiesen. Alles zu Karriere auf CIO.de
- Oberstaatsanwalt Henry Winter, Hamburg
Demnächst könnte der Prozess gegen Ex-Vorstände der HSH Nordbank beginnen, gegen die Winters Team seit Jahren ermittelt. Ebenfalls vor Gericht: Ex-Manager des Versicherers Ergo wegen Lustreisen auf Konzernkosten sowie des Solarunternehmens Conergy wegen Bilanzfälschung. - Oberstaatsanwalt Hanns-Joachim Wolff, Köln
Im Fall um die Privatbank Sal. Oppenheim bringt die Kölner Staatsanwaltschaft Matthias Graf von Krockow und drei weitere ehemalige Bankgesellschafter vor Gericht. 100 Beschuldigte gibt es in einem Korruptionsfall bei Ford. Auch auf der Agenda: die Katastrophe beim U-Bahn-Bau des Bilfinger-Konzerns. - Oberstaatsanwalt Hans-Ulrich Krück, Bochum
Die Bochumer Ermittler sind seit dem Fall Zumwinkel legendär. Krücks Team machte Schlagzeilen mit der Razzia gegen UBS-Steuersünder. Außerdem ermittelt die Wirtschaftsstaatsanwaltschaft in Sachen Arcandor und untersucht das Schienenkartell um ThyssenKrupp. - Oberstaatsanwalt Hans Richter, Stuttgart
Richters Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft für Wirtschaft ermittelt gegen Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, den früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus, den Drogerie-Pleitier Anton Schlecker und frühere Vorstände der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). - Oberstaatsanwalt Manfred Nötzel, München
Nötzels Behörde hat schon Top-Manager von Siemens und MAN vor Gericht gebracht. Das jüngste Urteil aufgrund von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I erging gegen Ex-BayernLB-Vorstand Gerhard Gribkowsky. Zurzeit hat die gefürchtete Fahndertruppe unter anderem Formel-1-Chef Bernie Ecclestone, Ex-MAN-Chef Hakan Samuelsson und die Korruptionsfälle von EADS und Ferrostaal im Visier.
Tadellos ist der Ruf des deutschen Rechtssystems nicht mehr, es gerät international unter Beschuss. So fordern die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), die OECD und ein G20-Gipfel 2010 in Seoul von Deutschland, endlich Hinweisgeber (Whistleblower) besser zu schützen. Die Vereinten Nationen mahnen zudem eine bessere Korruptionsbekämpfung an.
Kritik aus dem Ausland und immer offensichtlichere Missstände haben jetzt die Politik auf den Plan gerufen. Die Justizminister der Länder fordern von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), mit einem Bündel von Maßnahmen Wirtschaftskriminalität wirksamer zu bekämpfen und Staatsanwälten neue Instrumente an die Hand zu geben.
So sollen Whistleblower rechtlich besser geschützt und so ermutigt werden, Straftaten anzuzeigen. Auch soll es künftig möglich sein, nicht nur Personen, sondern auch Unternehmen wegen Straftaten vor Gericht zu zerren. Einen entsprechenden Vorstoß des Landes Nordrhein-Westfalen gab es vergangene Woche in der Justizministerkonferenz in Berlin.
Bei Ordnungswidrigkeiten ist es jetzt schon möglich, Unternehmen mit Bußgeldern zu belegen. Diese Bußgelder will die Bundesregierung zur Abschreckung von bisher maximal einer auf zehn Millionen Euro erhöhen. Das Gesetz wurde am 18. Oktober vom Bundestag verabschiedet.