BASF, Daimler, Siemens und Co.
Wie DAX-Konzerne die Krise meistern
Eigentlich hätte sich die internationale IT- und OT-Branche Mitte April auf der Hannover Messe IndustrieIndustrie versammelt, um zu diskutieren, wie 5G5G, IoT, AI/KI oder Big DataBig Data - bereits die Megatrends der HMI 2019 - die digitale Transformation prägen und beschleunigen. Doch ein Virus änderte die Agenda. Statt großer Messestände mit Exponaten zum Angreifen sind nun virtuelle Events das Gebot der Stunde. Alles zu 5G auf CIO.de Alles zu Big Data auf CIO.de Top-Firmen der Branche Industrie
So fiel auh der Messeauftritt der TelekomTelekom mitsamt Pressekonferenz ins Wasser und der Konzern lud stattdessen zum digitalen Event "Accelerate Digital Now". Dabei diskutierte Adel Al-Saleh, Vorstand und CEO T-SystemsT-Systems, mit Jan Brecht, DaimlerDaimler Group CIO, Christoph Wegner, CIO und CDO bei BASFBASF, Jan Mrosik, COO SiemensSiemens Digital Industries, sowie Pat Gelsinger, CEO VMware, darüber, wie die Firmen die Corona-Krise bewältigen und welche Auswirkungen dies auf die Unternehmen auch in Zukunft hat. Setzt die Krise wirklich eine "Faster to the future"-Bewegung in Gang, wie es VMware-Chef Gelsinger formuliert? Wird sich die digitale Agenda anpassen und beschleunigen, wie Al-Saleh erwartet? Top-500-Firmenprofil für BASF Top-500-Firmenprofil für Daimler Top-500-Firmenprofil für Siemens Top-500-Firmenprofil für Telekom Alles zu T-Systems auf CIO.de
COVID-19-Krise: Agilitätsplus vs. Lieferketten-Challenge
Unisono stellten die Diskussionsteilnehmer einen enormen Anstieg der Agilität fest - Projekte, die früher Monate oder Jahre dauerten, würden jetzt innerhalb weniger Tage bewältigt. Zudem sieht Gelsinger eine beschleunigte Nachfrage nach Cloud Services, da diese der einzige Weg seien, um über Nacht skalieren zu können. Um die Resilience der Unternehmen zu stärken, rät der VMware-CEO, Multi-Cloud-Umgebungen zu nutzen. Zudem könne man damit schneller reagieren, wenn sich etwa in einem Land die Regularien ändern, was ja derzeit während der Krise häufiger geschehe. Gleichzeitig ist für Gelsinger die Krise eine Chance, um die digitale Transformation zu beschleunigen.
Auf der anderen Seite haben alle Unternehmen mit einer anderen großen Herausforderung zu kämpfen: ihren Lieferketten, bei denen häufig die Transparenz fehlt, wenn sie nicht gar ganz zusammengebrochen sind. Erfahrungen, die T-Systems-Chef Al-Saleh nur bestätigen kann. Bei ihm fragten Kunden nämlich verstärkt nach Tracking-Apps nach, um den Transportfluss kritischer Waren zu verfolgen. Und noch etwas scheint sich in der Krise herauszukristallisieren: Wer seine Hausaufgaben in Sachen Digitalisierung und Automatisierung gemacht hat, konnte häufig den Betrieb in den Werken aufrechterhalten.
Siemens: Die Werke laufen
So berichtet etwa COO Mrosik, dass bei Siemens alle Werke während der Krise in Betrieb seien. Dabei laufe das Siemens-Elektronikwerk in Amberg - einer der Vorzeigestandorte des Konzerns in Sachen Industrie 4.0 und Smart Factory - weitestgehend ohne die Präsenz der Mitarbeiter. Und im worst case, sollte also wirklich einmal ein Werk schließen müssen, so ist Mrosik überzeugt, könnten die anderen Werke den Ausfall dank der vernetzten Produktion auffangen. Eine Vernetzung, die Siemens während der Corona-Krise noch für einen anderen Zweck nutzt: Der Konzern stellt im Rahmen seines Additive Manufacturing Network 3D-Druckkapazitäten für Ärzte und die Herstellung medizinischer Produkte zur Verfügung.
Einen wesentlichen Grund dafür, dass Siemens seine Produktion aufrechterhalten konnte, sieht Mrosik darin, dass der Konzern sehr früh über Konzepte wie dem Digitalen Zwilling (Digital Twin) mit der Digitalisierung seiner Produktion begann. Und die Digitalisierung adressiere vor allem drei Themen, die in der Krise besonders wichtig seien: Transparenz, Flexibilität und Vorhersehbarkeit. Dabei unterstreicht Mrosik vor allem die Bedeutung der Transparenz der Lieferketten jedes einzelnen Werkes, wenn ein Unternehmen seine Produktion aufrechterhalten wolle. Und last, but not least seien ausreichende Kapazitäten in IT und OT noch wichtig, um auf die sich verändernden Situationen reagieren zu können.
Daimler: Profitable China-Erfahrungen
Vor der Herausforderung, auf sich ständig verändernde Situationen zu reagieren, steht auch Daimler Group CIO Brecht. Der Autobauer muss im Prinzip seine Produktion täglich neu aussteuern, um sich an die verändernde Nachfrage anzupassen. So registrieren die Stuttgarter derzeit etwa in China, hier laufen die Fabriken des Konzerns bereits wieder, eine höhere PKW-Nachfrage als vor Beginn der Krise. In den dortigen Werken konnte der Konzern auch Erfahrungen sammeln, wie die Sicherheit der Mitarbeiter in Corona-Zeiten zu handhaben ist. Der dritte Aspekt, mit dem sich Brecht konfrontiert sieht, ist die Anpassung der komplexen Lieferketten an die veränderte Situation. Hier hat er eine Multi-Tier-Supply-Chain zu verwalten, die ebenfalls ständig angepasst werden muss.
Neben der Corona-Krise sieht Brecht zwei große Herausforderungen, vor denen der Konzern steht: In zwei Jahren soll die Produktion in den EU-Werken CO2-neutral erfolgen. Zudem befindet sich das Unternehmen im Zuge der Digitalisierung gerade in einer Transformation zu einer Software-getriebenen Company. Brecht will damit Konzern und IT in die Lage versetzen, doppelt so schnell wie früher auf Veränderungen reagieren zu können. Dazu hat der CIO fünf Grundregeln aufgestellt.
Open Source Software verwenden
eine native Umgebung betreiben und nicht unbedingt eine Hyperscaler-basierte Infrastruktur
APIs und Microservices einsetzen
Security als Enabler und nicht als Hindernis wahrnehmen
die Fähigkeiten und Qualifikationen der IT-Mitarbeiter fördern
Derzeit unterstützt die IT rund 100.000 Mitarbeiter, die aus dem Homeoffice arbeiten. Eine Entwicklung, die der Konzern nach der Krise mit dem Konzept des Distributed Working weiterverfolgen wird. Zudem beobachtet Brecht, dass sich in der Krise sowohl die Entscheidungs- als auch die Realisierungsgeschwindigkeit deutlich erhöht hat. Eine Erfahrung, die laut Brecht auch andere CIOs derzeit machen. Geradezu als Booster wirken derzeit Brecht zufolge Digitalisierung und Automatisierung, "und wir können beobachten, dass digitalisierte Unternehmen mit der derzeitigen Krise deutlich besser zurechtkommen".
BASF: Der agile Spagat
Bei BASF, so stellt CIO und CDO Wegner fest, hat die Krise ebenfalls das digitale Denken in der Firma beschleunigt. Dabei fährt der Chemiekonzern grundsätzlich einen zentralistischen Ansatz, um Digitalisierung und IT unter einen Hut zu bringen. So fügte BASF im Januar die Mitarbeiter aus den IT- und Digitalisierungs-Teams unter dem Label Digital Products zusammen. Nur wenige Wochen später hatte das Team dann mit den Corona-bedingten Ausgangssperren seine erste Feuertaufe: In kürzester Zeit mussten für 40.000 Mitarbeiter stabile VPN-Verbindungen bereitgestellt werden, um aus dem Homeoffice arbeiten zu können. Quasi über Nacht galt es, dazu die verfügbare Bandbreite zu verdoppeln.
Grundsätzlich will Wegner, nachdem die IT unter den neuen Anforderungen stabil läuft, an seiner digitalen Agenda festhalten. Ein Ziel ist dabei das Projekt Next Generation Business Architecture, das den Wechsel von R/3 auf S/4 Hana vorsieht. Dabei sehen sich Wegner und seine Mannschaft mit der Herausforderung konfrontiert, einerseits das langfristige Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Gleichzeitig müssen sie aber die erforderliche Flexibilität und Agilität sicherstellen, um auf aktuelle Veränderungen zu reagieren.
BASF kämpft aber nicht nur intern gegen die Auswirkungen von COVID-19 an. Um in der Krise direkt zu helfen, hat der Konzern beispielsweise 100 Millionen Masken an die Bundesrepublik Deutschland gespendet. Zudem diskutiert BASF darüber, wie das Unternehmen High-Performance-Computing-Leistung zur Verfügung stellen kann - etwa für die Forschung im Kampf gegen Corona.
Der Konzern selbst verfügt dabei über eine Rechenleistung von 2 Petaflops. Gleichzeitig will der Konzern damit das "Labchemical" vorantreiben, also die klassische Invitro-Arbeit in Silico-Arbeit umwandeln. Eine Entwicklung, die dazu führt, dass viele Laborexperimente jetzt im Computer ausgeführt werden können. Dies zahlt sich jetzt laut Wegner in der Corona-Krise aus und beweise die Kraft der Digitalisierung.
Was die Cloud-Nutzung angeht, war es für BASF vor ein paar Jahren noch nicht klar, ob die Cloud für den Konzern wirklich der richtige Weg ist. Die Krise habe nun gezeigt, dass die Elastizität und Flexibilität der Cloud die Chance biete, alle Mitarbeiter aus dem Homeoffice arbeiten zu lassen. Langfristig so Wegner, peile BASF an, alle Anwendungen in die Cloud zu bringen, "was aber noch ein sehr weiter Weg ist, da wir viele Legacy-Anwendungen haben."
Allerdings will er sich gleichzeitig nicht von einem Cloud-Anbieter abhängig machen oder alles in einem Land unterbringen. Vor dem Hintergrund der diversen politischen Diskussionen gehe die Tendenz aber dazu, alles im eigenen Land zu halten - beziehungsweise in Europa. Für Wegner ist deshalb der Ansatz mit GAIA-X eine sehr interessante Entwicklung. Vor dem Hintergrund der Krise ändern sich hier gerade laut Wegner die Prioritäten.
Deutsche Telekom: Vorbereitung zahlt sich aus
Die Telekom - Gastgeber des Events - bereitete sich vor dem Hintergrund der SARS-Krise und anderen Viren-Krisen in Asien schneller als viele andere Unternehmen auf den möglichen Ausnahmezustand vor. Schon Mitte Januar wurden etwa A-und-B-Teams aufgestellt, wie Thomas Tschersich, Chief Security Officer bei der Telekom, berichtet, "die A-Teams arbeiteten dann vor Ort und die B-Teams schickten wir ins Homeoffice."
Eine Entscheidung, die mit dazu geführt habe, dass die Telekom eine deutliche geringere Zahl an Infizierten habe als andere Unternehmen. Unter dem Strich hat sich die frühe Vorbereitung laut Tschersich ausgezahlt, da der Konzern alles unter Kontrolle habe, "und wir haben ein Eskalations-Management, nachdem wir uns momentan noch nicht im Krisen- sondern im Notfallmodus befinden." So würden etwa alle Standorte des Konzerns noch arbeiten.
Unter dem Strich kristallisiert sich dabei für T-Systems-Chef Al-Saleh ein IT-Agenda für Unternehmen heraus, die aus drei Phasen besteht. In der ersten Phase gelte es, den laufenden, gegenwärtigen Betrieb abzusichern. im nächsten Schritt müsse die IT an die neue Realität angepasst werden. In der dritten Phase gelte es dann, die Digitalisierung weiter voranzutreiben.