Rückblick 2016
Die IT-Branche hat einige Visionäre und Pioniere verloren
Seymour Papert
Auch Minskys langjähriger Wegbegleiter am MIT, Seymour Papert, starb 2016, wie sein Kollege ebenfalls im Alter von 88 Jahren. Papert war Zeit seines Lebens ein facettenreicher Gelehrter - Mathematiker, Pädagoge und Informatiker - der vor allem immer eines im Blick hatte: Menschen beim Lernen zu unterstützen. Der Computer war für Papert das universale Werkzeug, um den stumpfen Lerndrill endlich Vergangenheit sein zu lassen.
Der 1928 in Südafrika als Sohn eines Entomologen und einer Malerin geborene Papert studierte unter anderem in Cambridge Mathematik und lernte dort auch Marvin Minsky kennen. An der Sorbonne beschäftigte sich Papert mit der Frage, wie Kinder mathematisches Denken erlernen. Anfang der 60er Jahre holte ihn sein Bekannter Minsky in die USA an das MIT.
Dort widmete sich Papert zunächst der Erforschung von Themen rund um künstlichen Intelligenz und, zusammen mit Minsky, der Programmierung eines Schachspiels. Den entscheidenden Anstoß zu seinem späteren Lebenswerk gab ihm der junge Alan Kay mit der Bemerkung, auch Kinder, die kein Aquarium hätten, müssten am Rechner Fische entwerfen können, die hin- und herschwimmen. Daraufhin entwickelte Papert zusammen mit Wally Feurzeig die Programmiersprache "Logo" und die sogenannte Turtle-Grafik, mit der eine Schildkröte über den Bildschirm bewegt werden kann.
Papert prägte den Begriff des Konstruktionismus, einer Lerntheorie, die das aktive Konstruieren als effiziente Lernmethode betont. Seinen Ansatz, Kindern mit Hilfe des Computers und der eigenständigen Programmierarbeit das "konstruktive" Lernen beizubringen, fasste Papert 1980 in seinem Hauptwerk über Logo zusammen, "Mindstorms. Children, Computer and Powerful Ideas".
Das Internet bekräftigte Papert in seinen Thesen. So engagierte er sich im OLPC-Projekt seines Freundes Nicholas Negroponte. Papert begriff sich immer als strenger Kritiker bestehender Strukturen. "Was wir heute lehren ist determiniert durch die Technik von gestern", monierte der Forscher. In der Pädagogik liege der grösstmögliche Erfolg nicht darin, Nachahmer zu finden, sondern darin, andere dazu zu inspirieren, etwas anderes zu tun.
Jay Wright Forrester
Im Alter von 98 Jahren erlag der Ingenieur und Management-Forscher Jay Wright Forrester einem Krebsleiden. Der ausgebildete Elektroingenieur entwickelte am MIT im zweiten Weltkrieg Servomotoren für Radargeräte und arbeitete an dem sogenannten Whirlwind-Computer, der im Krieg als Flugsimulator zur Pilotenausbildung dienen sollte, aber erst nach dem Krieg fertig wurde.
Während der Arbeiten an Whirlwind begann Forrester, sich intensiv mit Simulationstheorien zu beschäftigen, ein Feld, das ihn später zur Formulierung der Systemdynamik führen sollte. Er wechselte das Fach und ging an die Sloan School of Management am MIT, die kurz zuvor gegründet worden war. Dort leitete Forrester ein Team, das Möglichkeiten für den Einsatz von Computern im Management erkunden sollte. Schwankungen des Marktes, die zunächst als klassische Wechselwirkungen von Angebot und Nachfrage aussahen, konnte Forrester mit einer Simulation anders erklären. Der von ihm erkannte Peitscheneffekt, auch Forrester-Effekt genannt, war sein Einstieg in die Systemdynamik, die er mit seinem Hauptwerk "Industrial Dynamics" 1961 begründete.
In der Folge weitete Forrester seine Theorie auf das Studium sozialer Systeme aus und veröffentlichte 1969 "Urban Dynamics", das zur Bibel aller Stadtplaner werden sollte. Es machte die Entwicklung und den Zerfall von Ballungszentren empirisch erfassbar. Die Ausweitung auf seine "World Dynamics" im Jahre 1971 war die politisch brisanteste Stufe der Systemdynamik. Sie erschütterte das Grundtheorem vieler Ökonomen vom unbegrenzten Wachstum. "Die Menschen sind nur Rollenspieler in einem System", konstatierte Forrester. "Sie agieren innerhalb des Systems, auch wenn sie glauben, dass sie es managen. Das ist keine populäre Idee bei denen, die glauben, dass sie die echten Macher sind. Wer das System wirklich verändern will, muss das System verstehen."
Wesley A. Clark
Ende Februar starb der Computerpionier Wesley Clark im Alter von 88 Jahren. Clark studierte in Berkeley und am MIT Elektrotechnik. Dort arbeitete er zusammen mit Jay Forrester am Whirlwind-Computer-Projekt. Gemeinsam mit Ken Olsen, den späteren Gründer von DEC, baute er dann den TX-0 und den TX-2, die beide die weitere Computerentwicklung maßgeblich beeinflussten. Mit Charles Molnar entwickelte er 1961 den LINC (für Laboratory Instrument Computer) am Lincoln Laboratory des MIT. Dieser wurde ab 1964 von der inzwischen von Olsen gegründeten Digital Equipment Corpotation (DEC) und Spear Inc. produziert.
Die Rechner waren damals mit um die 40.000 Dollar vergleichsweise günstig und hatten einen Bildschirm und eine Tastatur. Bis 1969 wurden etwa 50 Exemplare verkauft. Der 12-Bit-Computer hatte 1 KB Speicher (später 2 kB) sowie externen Speicher in Form eines Magnetbands (LincTape). Er gilt als einer der ersten Mini-Computer und als Vorläufer des Personal-Computers. Clark war darüber hinaus auch an der Entwicklung des Arpanet beteiligt, des Vorläufers des Internet.
Ray Tomlinson
Mit Ray Tomlinson ist im Alter von 74 Jahren der Mann gestorben, der die erste E-Mail verschickte und dem "Klammeraffen" neues Leben einhauchte. Tomlinson hatte 1971 im Zuge der Entwicklung des Internet-Vorläufers Arpanet bestehende Protokolle so modifiziert, dass elektronische Nachrichten zwischen Computern in einem Netzwerk versendet werden konnten. Tomlinson war es auch, der zum "@"-Zeichen griff, um den Computer des Adressaten zu benennen. Das Symbol, auch "kaufmännisches Und" genannt, war ursprünglich von Händlern benutzt worden, die damit den Einzelpreis eines Produkts markierten. Er habe das "at" stattdessen für die räumliche Zuordnung benutzt, erzählte Tomlinson später. "Es machte einfach Sinn." Und es sei das einzige Zeichen auf der Tastatur gewesen, dass Arpanet-Anwender nicht in ihren Benutzer-Namen eingesetzt hätten.
An den Inhalt der ersten E-Mail konnte sich Tomlinson später nicht mehr erinnern. Die Test-Nachrichten enthielten nichts, was in Erinnerung bleiben sollte, schrieb er auf seiner Website. "Höchstwahrscheinlich lautete die erste Nachricht QWERTYUIOP oder sowas ähnliches." Der Begriff "E-Mail" bürgerte sich allerdings erst später ein.
Raymond Tomlinson wurde 1941 in Amsterdam, New York geboren. Nach dem Besuch des Rensselaer Polytechnic Institute, das er mit einem Bachelor of Science in Elektrotechnik abschloss, studierte Tomlinson am MIT in den USA. Im Jahr 1967 wurde er Teil des F&E-Unternehmens Bolt Beranek and Newman, die später zu BBN Technologies werden sollte.
Thomas Perkins
Mit Thomas Perkins verstarb im Alter von 84 Jahren eine Investorenlegende im Silicon Valley. Perkins war 1972 Mitbegründer von Kleiner Perkins Caufield & Byers (KPCB), einer der renommiertesten Venture-Capital-Gesellschaften im Tech-Umfeld. Die Gründer KPCB's unterschieden sich durch ihre verschiedenen technischen Hintergründe vom klassischen Bild der Risikokapitalgesellschaften aus dem Finanzsektor. Kleiner war Gründer der Fairchild Semiconductor Corporation und Perkins war einer der Leiter von Hewlett-Packards frühen Computer Hardware Abteilungen. Durch die Ansiedlung im Menlo Park, Kalifornien, hatten sie Zugang zu der aufkeimenden Technologie Industrie in diesem Gebiet. In den frühen 1970ern wurden viele Halbleiterfirmen im Santa Clara Valley gegründet, als auch frühe Computerfirmen, die jene Geräte und Dienstleistungen nutzten.
KPCB hat in über 300 IT Firmen und Biotech Firmen investiert, darunter Amazon.com, AOL, Compaq, Electronic Arts, Flextronics, Google, Netscape, Quantum und Sun Microsystems, und damit viel Geld verdient. Beispielsweise zahlten die Investoren 1994 etwa vier Millionen Dollar für einen Anteil von 25 Prozent an Netscape. Das Unternehmen ging an die Börse und wurde anschließend an AOL verkauft. KPCB verdiente damit vier Milliarden Dollar. 1999 kauften Kleiner Perkins und Sequoia Capital 20 Prozent von Google für 25 Millionen Dollar.
Perkins fungierte seit 1974 als Chairman von Tandem Computers bis das Unternehmen 1997 von Compaq übernommen wurde. 2001 unterstützte Perkins als Aufsichtsrat von Compaq HPs Bestrebungen, Compaq zu schlucken. Bis 2006 blieb Perkins im Aufsichtsrat von HP, verließ diesen jedoch, als der Konzern zu aus seiner Sicht unethischen Methoden griff, um einen Maulwurf um Board zu enttarnen, der angeblich Informationen weitergegeben hatte. Perkins missbilligte das Vorgehen und machte damals seine Kritik auch öffentlich.
Peter Lustig
In Deutschland betrauerten viele Menschen einen Mann, der über Jahrzehnte Kinder für Technik und Experimente begeistern konnte. Peter Lustig, der langjährige Moderator der Sendung "Löwenzahn", verstarb im Alter von 78 Jahren. Der Mann mit der Latzhose wurde vor allem mit der Sendung "Löwenzahn" bekannt. In fast 200 Folgen wunderte sich der in einem Bauwagen wohnende Erfinder stellvertretend für die Zuschauer durch verschiedenste Phänomene zwischen Himmel und Erde.
Lustig war gelernter Rundfunktechniker und studierte danach Elektrotechnik. Für den Sender Freies Berlin (SFB) war er als Hörspielautor und Tontechniker tätig. 1979 wurde Peter Lustig bei einer Produktion für die ZDF-Sendung "Pusteblume" als Moderator entdeckt. 2005 hatte sich Lustig bereits aus gesundheitlichen Gründen ins Privatleben zurückgezogen.
Joshua Brown
Für großes Aufsehen sorgte im Frühjahr der Tod von Joshua Brown, bis dato in der Öffentlichkeit völlig unbekannt. Der Mann verunglückte Anfang Mai mit seinem per Autopilot gesteuerten Tesla. Der Wagen kollidierte mit einem querenden Lkw, der Fahrer kam dabei ums Leben. Hersteller Tesla erklärte später, das System habe die hohe weiße Seitenwand des Lkw-Anhängers vor dem hellen Himmel nicht erkannt, sondern möglicherweise für ein Straßenschild gehalten und deshalb keine automatische Bremsung ausgelöst. Der Fahrer hatte zum Unglückszeitpunkt seine Hände nicht wie vorgeschrieben am Steuer und konnte nicht mehr selber eingreifen. Es war der erste tödliche Unfall mit einem Fahrzeug, das die Technologie des autonomen Fahrens nutzt - basierend auf Software, Sensoren und Kameras.
Der Unfall entfachte in der Folge heftige Diskussionen darüber, wie sicher das autonome Fahren sein könne. Man habe große Sorge, dass den Konsumenten hier viele Versprechungen in Form einer unfertigen Technologie verkauft werden, kritisierten Verbraucherschutzorganisationen. Durch die Bezeichnung 'Autopilot' vermittle Tesla seinen Kunden einen falschen Eindruck von Sicherheit.