Intrigen und Pannen
Die schmutzige Vergangenheit von Twitter
Doppelte Rache
Zum anderen streiten Williams und Dorsey darüber, was der Dienst überhaupt sein soll. "Jack hatte Twitter immer als Ort für aktuelle persönliche Mitteilungen gesehen", schreibt Buchautor Bilton. "Für Ev war es ein Weg, mitzuteilen, was um einen herum geschah: ein Ort für Neugier und Informationen."
Irgendwann liegen die beiden über Kreuz - Ev Williams schiebt seinen einstigen Freund Jack Dorsey mithilfe zweier Investoren auf den bedeutungslosen Posten als stiller und somit machtloser Verwaltungsratschef ab und übernimmt selbst das Ruder.
Dorsey will vor lauter Wut beim großen Rivalen FacebookFacebook anheuern, was aber scheitert. Trotzdem übt er Rache - gleich doppelt: In den folgenden Monaten inszeniert er sich gegenüber Blogs und MedienMedien als Erfinder des Zwitscherdienstes, was die anderen zähneknirschend hinnehmen. In der Zwischenzeit spinnt er außerdem eine Intrige, um Evan Williams wieder aus dem Amt zu putschen und zum Produktchef zu degradieren. Mit Erfolg. Geschäftsführer Dick Costolo übernimmt und ist bis heute im Amt. Alles zu Facebook auf CIO.de Top-Firmen der Branche Medien
Während der Machtkämpfe ist Twitter gelähmt, niemand gibt die Richtung vor. Die Folge: Die Server gehen immer wieder in die Knie, ohne dass die Administratoren wüssten, warum. Die Mitarbeiter revoltieren gegen das Chaos.
Davon dringt jedoch wenig nach außen, die Technologiewelt bekommt meist nur die Erfolgsmeldungen mit. "Jeden Monat wuchs die Zahl der Nutzer stärker als im Vormonat, und die Projektionen für die kommenden Monate waren noch höher. Die beigefügten Tabellen sahen aus wie Himmelsleitern", schreibt Experte Nick Bilton.
- Twitter
Der Kurzmeldungsdienst Twitter hat in Deutschland deutlich an Popularität gewonnen. Im März 2013 hatte er laut Comscore 3,7 Millionen Nutzer. Mittlerweile dürften es noch einige mehr sein. - Google+
Das Soziale Netzwerk von Google zählt zu den Spätstartern, es ist erst seit dem Sommer 2011 online. Da der Internet-Riese es mit seinen anderen Diensten verknüpft, ist die Reichweite binnen kurzer Zeit aber schon deutlich gestiegen. Die AGOF erhebt keine Zahlen, laut Comscore waren es im Frühjahr 2013 aber beachtliche 6,7 Millionen Nutzer. Allerdings ist unklar, wie viele diesen Dienst ernsthaft nutzen. - Xing
Das Karriere-Netzwerk Xing gehört zu den Frühstartern im Social Web, schon 2003 ging es (damals noch unter dem Namen OpenBC) an den Start, seit 2006 ist es an der Börse notiert. Ende 2012 übernahm das Medienunternehmen Burda die Mehrheit an der Aktiengesellschaft. Zuletzt hatte Xing laut AGOF-Statistik in Deutschland rund 4,8 Millionen Besucher im Monat.
So verwundert es nicht, dass etliche Unternehmen Twitter zu gerne gekauft hätten. Das erste, mit zwölf Millionen Dollar noch bescheidene Angebot stammte von Yahoo. Wenig später warb der frühere US-Vizepräsident Al Gore darum, den Dienst zu einem Teil seines Fernsehsenders Current TV zu machen. Doch auch seine joviale Art half nicht. Der Facebook-Chef Mark Zuckerberg versuchte es sogar zwei Mal vergeblich. Der Schauspieler Ashton Kutcher und der Musiker Sean Combs wollten sich Beteiligungen sichern.
Die Aussicht auf das schnelle Geld überzeugte die Twitter-Leute nicht. Sie holten stattdessen in mehreren Runden potente Kapitalgeber in die Firma, die jetzt beim Börsengang für ihren Einsatz belohnt werden. Auch wenn das Unternehmen immer noch nicht gezeigt hat, dass es seine große Reichweite dauerhaft in Werbeeinnahmen ummünzen kann.
Bilton zeichnet ein unschmeichelhaftes Bild von den Gründern. An den Streitigkeiten und Intrigen sind wahrscheinlich mehrere Freundschaften zerbrochen, auch wenn sich die Gründer beim Börsengang Arm in Arm zeigten (ohne Noah Glass). Trotzdem glaubt Buchautor Nick Bilton, dass der Dienst ohne die unterschiedlichen Charaktere nicht das wäre, was er ist.
Das Buch ist packend geschrieben wie ein Roman, es richtet sich nicht nur an Geeks, sondern jeden, der Drama und Intrige mag. Selbst Twitter-Unkundige dürften etwas damit anfangen können. Aber wie viel davon ist Dokumentation, wie viel Dichtung? Bilton betont in einer Vorbemerkung, dass er mehrere hundert Stunden Interviews geführt und tausende Dokumente ausgewertet habe, darunter vertrauliche E-Mails und Vertragsunterlagen. Außerdem habe das Internet geholfen, viele Situationen zu rekonstruieren - schließlich nutzen so ziemlich alle Beteiligten Twitter.
Literatur : Nick Bilton: Twitter. Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat. Campus Verlag, 335 Seiten, ISBN: 978-3593399065. Englischer Originaltitel: Hatching Twitter.
(Quelle: Handelsblatt)