IT UND MARKETING

Phantasten contra Bürokraten

03.10.2001
Von Martin Jahrfeld

Die Herausforderung, die der Geschäftsführer von TUI Interactive beschreibt, ist alles andere als neu: IT-Leute und Marketing-Profis arbeiten längst nicht immer mit denselben Zielen und Motiven; im schlimmsten Fall können sie sich sogar gegenseitig blockieren und so den Erfolg eines ambitionierten E-Business-Projekts gefährden. Ein Unternehmensberater, der sich seit Jahren mit derartigen Organisationsproblemen beschäftigt, nennt die Gründe: "Marketing- und Vertriebsleute arbeiten unter kurzfristigen Perspektiven, weil sie schnell auf veränderte Kundenbedürfnisse reagieren müssen. IT-Entwickler benötigen lange Entwicklungshorizonte, weil sie eine stabile Software herstellen wollen", weiß Norbert Terglane, Mitglied der Geschäftsführung bei Kienbaum Management Consultants.

Der Gegensatz zwischen beiden Berufsgruppen scheint also grundsätzlicher Natur, und er erstreckt sich quer über Länder- und Branchengrenzen: "Marketing-Abteilungen sind in erster Linie dazu da, neue Absatzkanäle aufzustöbern", sagt Amber Niven, Vice President von Arch Communications, einem Anbieter von drahtlosen Kommunikationssystemen in Westborough, Massachusetts. "Von sich aus kommen die Marketing-Leute nicht in die IT-Abteilungen, um herauszufinden, was die Software-Entwickler überhaupt zu leisten in der Lage sind. Sie fragen allein ihre Kunden, was sie wollen, ohne zu wissen, ob dies auch realisierbar ist."

Die CIOs und ihre Mitarbeiter haben hingegen mit einer Vielzahl von Restriktionen zu kämpfen, die mit den Versprechungen der Marketing-Abteilungen selten in Einklang in zu bringen sind. Entwicklungszeiten lassen sich schwer einschätzen, die finanziellen und personellen Ressourcen bei einem Projekt sind begrenzt. Zudem müssen neue Internet-Ideen immer auch in die vorhandene technologische Infrastruktur eines Unternehmens integriert werden ? ebenfalls keine leichte Aufgabe.

"Der Mangel an grundlegenden Kenntnissen im Bereich Informationstechnologie ist mitunter schon erschreckend", konstatiert Rolf Bergmann, CIO bei Price Waterhouse Coopers (PWC). "Manche Marketing-Leute berichten von ihrem Sohn, der ihnen eine Homepage innerhalb eines Tages zusammengebastelt habe. Und dann wundern sie sich darüber, warum wir unsere Aufgaben nicht mit ähnlicher Geschwindigkeit bewältigen können." Die Marketing-Seite kontert: "Uns stört ihre prozessorientierte Gründlichkeit, die schon mal einem zügigen Projektfortschritt im Wege stehen kann", sagt Hugo Rautert, stellvertretender Leiter für den Bereich Marketing und Kommunikation bei PWC.

Eine Studie des Multimedia-Dienstleisters Popnet bestätigt diese Probleme: Die dort befragten IT-Verantwortlichen erwarten von der Marketing-Abteilung mehr Sachverstand und Realitätssinn; die andere Partei fordert von den Technikern mehr Flexibilität und verständlichere Kommunikation. "Die Marketing-Manager fürchten den Tod eines Projekts durch totale Bürokratie, die IT-Abteilung durch totale Anarchie", bringt CIO Bergmann die gegensätzlichen Positionen auf den Punkt.

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