100 Jahre Interpol
Globale Polizei-Organisation mit Imageproblem?
Das Verbrechen ist international, und ihre Bekämpfung muss es auch sein: Aus diesem Gedanken heraus entstand vor 100 Jahren die Vorgängerorganisation von Interpol. Mit 195 Mitgliedsländern ist Interpol mittlerweile die weltgrößte Polizeiorganisation, ihre riesigen Datenbanken werden jährlich milliardenfach durchsucht. Doch Menschenrechtler monieren: Die in Lyon ansässige Organisation lässt sich von Autokraten ausnutzen, um Gegner zu verfolgen. Und auch manche Personalie ließ Interpol in den vergangenen Jahren nicht im besten Licht dastehen.
Turbulente erste Jahre
Ein Rückblick: 1923 lud der Wiener Polizeichef Johannes Schober zu einem Kongress, besucht von 20 Staaten, darunter Deutschland. Dort wurde am 7. September die Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission gegründet. 1938 ergriffen die Nationalsozialisten dann die Kontrolle über die Institution. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Organisation unter dem Namen Interpol wiederbelebt, ihr Sitz war fortan in Frankreich. 1956 erhielt sie modernisierte Statuten. 1989 zog Interpol dann nach Stopps in Paris und Saint-Cloud nach Lyon.
Wie wichtig Interpol für die Verbrechensbekämpfung ein Jahrhundert nach der Gründung ist, ist Historiker Jens Jäger von der Universität zu Köln zufolge umstritten. Zentral sei der gegenseitige Datenaustausch. Doch: "Interpol hat natürlich das Problem, dass es nur funktionieren kann, wenn die Mitgliedstaaten kooperativ sind und mitmachen", erklärt Jäger. "Und es ist halt ein großer Apparat, der dementsprechend auch ein bisschen schwerfällig ist." Kleinere Gruppen hätten es leichter, sich auf gemeinsame Ziele, Strategien und Themen zu einigen.
Andererseits werde Interpol von vielen Ländern als unabhängig angesehen, so dass sie gewillter seien, zu kooperieren. Interpol-Generalsekretär Jürgen Stock, früherer Vize des Bundeskriminalamtes (BKA), betont, die Verpflichtung zu Unabhängigkeit und Neutralität sei auch nach 100 Jahren gleich geblieben. "Unsere Effizienz in der internationalen Polizeizusammenarbeit hängt davon ab."
"Red Notices" und Autokraten
Besonders bekannt sind die Fahndungen mit einer "Red Notice". Damit kann ein Land dazu auffordern, eine Person ausfindig zu machen und vorläufig festzunehmen. Ein internationaler Haftbefehl ist das nicht. Interpol steuert die Kooperation, jedes Land entscheidet selbst, wie es mit einem Fall umgeht.
Menschenrechtsorganisationen wie FairTrial werfen Interpol vor, autokratische Staaten könnten das Tool zur Verfolgung von Oppositionellen im Ausland nutzen. Für Aufsehen sorgte etwa der Fall des Kölner Schriftstellers Dogan Akhanli (1957-2021), der auf Betreiben der Türkei im Sommer 2017 während eines Spanienurlaubs vorübergehend festgenommen wurde und nur unter Auflagen wieder freikam. Er durfte das Land nicht verlassen, musste seinen Pass abgeben und sich regelmäßig bei den spanischen Behörden melden. Ihm drohte die Auslieferung an die Türkei, wo Behörden ihm eine Beteiligung an einem Raubmord vorwarfen. Die damalige Bundesregierung äußerte sich kritisch zu dem Vorgang.
Heute sagt Interpol zu der Kritik, dass alle Ersuche einen robusten Prüfprozess durchliefen. Stock zufolge gibt es die Fehlannahme, dass eine hohe Zahl nonkonformer Anfragen für "Red Notices" eingingen. "Das ist einfach nicht der Fall." Letztlich seien mehr als 95 Prozent dieser Anfragen konform.
Aber: Interpol prüft dabei nicht, ob die Vorwürfe gegen die gesuchten Personen berechtigt sind, sondern lediglich, ob die Anfragen mit Interpols Regeln im Einklang stehen. Historiker Jäger analysiert: "Tatsächlich ist es in der Tat so, dass bei Interpol da einige Ressourcen fehlen, solche Anfragen zu überprüfen oder kritisch zu würdigen." Auch FairTrial erklärt, trotz der 2016 eingerichteten Prüf-Taskforce könnten Staaten Interpols Systeme noch immer missbrauchen. Jäger räumt ein, Interpol versuche zwar, den Missständen Einhalt zu gebieten. "Aber aus meiner Sicht wird das niemals wirklich möglich sein."
Negativschlagzeilen kratzen am Image
Eher unerfreulich dürften für Interpol auch die Schlagzeilen gewesen sein, die einige Präsidenten der Organisation hervorriefen. Gegen den aktuellen Amtsinhaber, Ahmed al-Raisi aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, wurden vor seiner Wahl Foltervorwürfe laut. Die tägliche Arbeit wird zwar vom Generalsekretär geleitet. Der Präsident überwacht aber die Arbeit des Generalsekretariats und leitet die Generalversammlung der Mitgliedstaaten.
2018 wurde der damalige Präsident Meng Hongwei in China festgenommen, laut Gericht gestand er, Bestechungsgelder angenommen zu haben. Eine Dekade zuvor war der von Korruptionsvorwürfen belastete Südafrikaner Jackie Selebi als Interpol-Präsident zurückgetreten. Auch wenn die Fälle nicht unbedingt auf die Amtszeit bei Interpol zurückgehen, sagt Jäger: "Das Image Interpols ist, was das angeht, auf jeden Fall beschädigt." (dpa/ad)