25 Jahre nach dem Elchtest
Rolle rückwärts bei Mercedes-Benz
Vor 25 Jahren brachte die Sache mit dem Elch Mercedes gewaltig ins Schlingern. Bei einem Fahrtest in Schweden am 21. Oktober 1997 kippte die damals ganz neue A-Klasse um. Schnell war in Deutschland vom Elchtest die Rede - obwohl der Begriff so in Schweden gar nicht verwendet wurde. Bei dem Fahrmanöver wird ungebremst und abrupt hin- und hergelenkt. Eben so, als müsste man plötzlich einem Elch auf der Straße ausweichen. Der Vorfall blamierte den Stuttgarter Autobauer und stürzte ihn in eine PR-Krise.
Marge vor Masse
Ein Vierteljahrhundert nach dem Elchtest macht Mercedes strategisch eine Rolle rückwärts. War der "Baby-Benz" damals der Einstieg in die Kompaktklasse und damit der Türöffner für größere Stückzahlen, verfolgt Firmenchef Ola Källenius heute eine Luxusstrategie, die er im Mai an der Côte d'Azur näher erläuterte. Das Einstiegssegment soll von sieben auf vier Karosserievarianten ausgedünnt werden. Auf die Frage, ob das auf Dauer das Aus für Kompaktautos der A- und B-Klasse bedeute, gab er keine explizite Antwort. "Ich überlasse den Rest Ihrer Vorstellungskraft", sagte er vor Journalisten. Fest steht: In Zukunft steht die Marge im Vordergrund, nicht die Masse.
Autoexperte Stefan Reindl erinnert sich an den Elchtest: "Das war ein Hieb, mit dem hatte damals niemand gerechnet." Der Imageschaden sei "schon enorm" gewesen. "Mercedes ist in seinen Grundwerten erschüttert worden", sagt Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer. "Das war ein Erdbeben." Mercedes habe damals für Sicherheit und Qualität gestanden. Mit dem Elchtest sei die Sicherheit über Nacht zerbrochen. Doch der Konzern habe gut auf den Vorfall reagiert. "Das fand ich hervorragend, weil Mercedes genau erklärt hat, woran es lag und was die Gegenmaßnahme ist." Mercedes habe mit Technologie das Vertrauen zurückgewonnen.
Das Unternehmen stoppte die Auslieferungen und rüstete die bereits ausgelieferten Fahrzeuge mit dem Elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP) nach. Das vom Zulieferer Bosch gemeinsam mit Daimler-Benz - wie der Konzern damals noch hieß - entwickelte ESP sollte das Schleudern verhindern und war bis dahin in Serie nur den zahlungskräftigen Kunden der S-Klasse vorbehalten. Daimler nahm viel Geld in die Hand und stattete auch die A-Klasse serienmäßig mit ESP aus, um Vertrauen zurückzugewinnen. 100 Millionen D-Mark pro Jahr, hieß es damals. Für ESP war das der "Durchbruch", teilt ein Bosch-Sprecher mit. Bis Ende des Jahres werde Bosch rund 300 Millionen ESP-Systeme ausgeliefert haben.
Die A-Klasse wurde nach dem Rumpelstart ein Erfolg: Über vier Millionen Autos wurden seit der Markteinführung weltweit ausgeliefert, heißt es von Mercedes-Benz. Mit Einführung der Kompaktfahrzeuge, zu denen auch die B-Klasse zählt, habe man damals drei Ziele verfolgt: die Senkung des Flottenverbrauchs, geringere Entwicklungs- und Produktionskosten je Auto durch höhere Stückzahlen sowie eine höhere Attraktivität für junge Kunden. Während der Flottenverbrauch mit Umstieg auf die Elektromobilität in den Hintergrund rückte, blieben die Stückkosten weiter relevant, teilt ein Sprecher mit. Aus diesem Grund setze Mercedes weiter auf eine Wachstumsstrategie.
Markenimage dank A-Klasse verjüngt
Die A-Klasse habe "einen großen Beitrag dazu geleistet, das Markenimage von Mercedes-Benz zu verändern und zu verjüngen", teilt der Sprecher mit. "Vom Design her waren die ersten beiden Baureihen nicht jedermanns Sache", findet Experte Reindl. Als Vorläufer der Minivans sei die A-Klasse "einfach nicht dynamisch, sondern eher konservativ" gewesen. Damit sei eher eine ältere Klientel angesprochen worden, obwohl die Zielgruppe wesentlich jünger sein sollte. "Wenn man damals eine A-Klasse überholt hat, dann saßen darin häufig Menschen jenseits der 60", sagt Reindl. Der wirkliche Erfolg, auch beim jüngeren Publikum, sei erst mit den späteren Baureihen gekommen. Tatsächlich erinnert die heutige Baureihe optisch kaum an die A-Klasse aus den Neunzigern.
Die Luxusstrategie, die Mercedes-Benz heute verfolgt, sieht Autoexperte Dudenhöffer kritisch. "Das ist ein neuer Elchtest", sagt er. Die Risiken seien groß. Das Autogeschäft der Zukunft sei stark durch Größenvorteile getrieben. Bei der Software lohne es sich, diese für eine große Anzahl an Autos zu entwickeln, da so die umgelegten Kosten auf die einzelnen Autos geringer seien. Das Erfolgsgeheimnis der Autos seien Technologie und Software, glaubt Dudenhöffer. "Die Technologie ist deutlich wichtiger als diese Luxus-Schickimicki-Geschichte."
"Bei den Stückzahlen der A- und B-Klassen wird es einfach schwierig, Geld zu verdienen", sagt hingegen Reindl. Dennoch werde Mercedes-Benz die unteren Fahrzeugklassen nicht komplett aufgeben, glaubt er. "Es gibt zum Beispiel den EQA, das ist sozusagen die elektrische A-Klasse als SUV."
Mercedes-Benz habe sich dazu entschieden, sein Produktangebot "signifikant aufzuwerten", teilt der Unternehmenssprecher mit. Das Unternehmen werde sich fokussieren und Komplexität verringern. Damit schließt sich nach 25 Jahren ein Kreis: Am Ende wird es wahrscheinlich kein Elch, aber mit Firmenchef Källenius immerhin ein Schwede gewesen sein, der die A-Klasse kippt. (dpa/ad)